Zu Kapitel XIV.:
"Going Back" (2001) — Vietnamtourismus und Sündenbekenntnis

Einleitung
Gibt es Antikriegsfilme?
Der Vietnamkrieg
Verdeckte Kritik in Filmen der 60er
Heimkehrerfilme
The Deer Hunter
Apokalypse Now
Vietnam-Trilogie Oliver Stone
Individuum und Militär
Gardens Of Stone
Besondere Morde im Krieg
Drei Filme von Barry Levinson
Ein "schmaler Grat"
A Bright Shining Lie
Going Back — Vietnamtourismus?
Krieg als US-Staatskunst
Tagebuch & UN-Charta
Verlag, Autor, Unterstützer

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"Ich leide seit 1987 am posttraumatischen Stress-Syndrom (PTSS). ... Erst 19 Jahre nach dem Krieg erkrankte ich daran. Ich sah, dass ich mich drastisch veränderte, auch meine Frau merkte, dass etwas mit mir nicht stimmte, jedoch wussten wir nicht, was es war ... Der eigentliche Grund für PTSS bei mir ist, dass ich zu viele Menschen getötet habe. Das tut mir heute unendlich Leid. Sie schauten mich an, und ich schaute sie an. Das werde ich niemals vergessen können. Ich glaube, je älter man wird, desto mehr Wertschätzung hat man dem Leben gegenüber. Ich bin kein gewalttätiger Mensch, aber der Krieg hat mich geprägt. ... Und immer noch kann ich in meinen Alpträumen riechen, kann den Kampf riechen, und wenn das losgeht, dann habe ich Probleme."
US-Vietnamveteran Mike Lake

"Sie trainierten mich zu töten. Sie schickten mich nach Vietnam. Sie sagten mir aber nicht, dass ich Kinder bekämpfen würde."
Ein US-Vietnamveteran

"Es ist so, als würde man sein eigenes Grab besuchen und dabei Dinge sehen, die man niemals zurück bekommt." — "Mein Gott, das war so furchtbar. Soll man unsere Sünden vergeben?"
Vietnamveteranen in "GOING BACK"

Mit eisiger Ablehnung reagierte die US-Gesellschaft auf Heimkehrer des Vietnamkrieges. Sie standen für die Niederlage. Doch Anfang der 80er Jahre ernteten die Veteranen spätes Lob. Man sagte allgemein: "Wow, ihr Jungs habt gute Arbeit geleistet!" Geholfen hat solcher Zuspruch wohl kaum einem Soldaten. In jeder Großstadt der USA gibt es in den Veteranenzentren Therapieangebote für Teilnehmer des Vietnamkrieges. Für die vom Militär auf neunzig Prozent hochkonditionierte Tötungsrate muss die Gesellschaft der Vereinigten Staaten bis heute einen hohen Preis bezahlen. Das Trauma haben kritische Heimkehrerfilme (Kapitel IV) vermittelt, lange bevor die subventionierte Staatskunst mit "WE WERE SOLDIERS" 2001 ein ungetrübtes Heldenideal der Vietnamveteranen in die Kinos schickte. Wie tröstlich sind angesichts des zuletzt genannten Titels Menschen, die ihre inneren Kriegsverwundungen nicht durch einen Unschuldswahn verarbeiten. Der Vietnamveteran Larry aus New York hat als "US Marine Lone Ranger" sehr viele Menschen im Nahkampf getötet. Nach dem Krieg konnte er sich als Familienvater und Geschäftsmann etablieren. Schuldgefühle über die blutberauschte "Lust am Töten" brachen erst hervor, als seine Mutter starb. Das bedeutete für ihn einen so großen Lebenseinschnitt, dass er alles verlor und auf der Straße landete. Nach einer Begegnung mit dem Zen-Buddhisten Claude, der auch als ausgebildeter Killer in Vietnam war, ist er von den Drogen los gekommen. Er ernährt sich von drei Jobs, bettelt nie, verzichtet auf eigenen Besitz und lebt jetzt freiwillig auf der Straße. Larrys Geschichte wäre für einen Spielfilm eine verheißungsvolle Vorlage. Bekannter noch ist der US-amerikanische Bischof Robert Bowan, Geistlicher der United Catholic Church in Florida. In Vietnam hat Bowan über hundert Kampfeinsätze geflogen. Heute wird seine Stimme weit über die Grenzen der US-Friedensbewegung hinaus gehört. Er hofft auf ein Christentum, das sich nach dem Vorbild der ersten drei Jahrhunderte der staatlichen Kriegspolitik konsequent verweigert.

Auch an Widerstand innerhalb der US-Army ist zu erinnern. Am 6. März 1998 erhielten Pilot Hugh Thompson, Schütze Lawrence Colburn und der gefallene Glenn Andreotta am Vietnam Veterans Memorial in Washington die Soldier`s Medal. Sie hatten während des My Lai-Massakers Vietnamesen vor mordenden US-Soldaten geschützt. Zur My Lai-Gedenkfeier in Vietnam bekannte Thompson: "Ich bin glücklich wieder hier zu sein und gleichzeitig furchtbar traurig. Ich bin nahe daran zusammenzubrechen, was ich nicht will, aber heute kann ich meine Gefühle nicht kontrollieren." Lawrence Colburn äußerte: "Ich bete dafür, dass wir eines Tages fähig sind, unsere Kriegsmentalität abzulegen, denn Krieg ist Wahnsinn!" Zu diesem Zeitpunkt war es bereits seit Mitte der 90er Jahre verstärkt zu Begegnungen zwischen US-amerikanischen und vietnamesischen Veteranen gekommen. "Die amerikanische Tourismusbranche begann, regelrechte Veteranenreisen anzubieten, und auch für junge Amerikaner wurde das traditionsreiche und landschaftlich reizvolle Land allmählich zu einem attraktiven Reiseziel." (Frey 2002) Traumurlaub in Vietnam "21 Tage von Danang bis ins Mekong-Delta" unter Einschluss wichtiger "Sehenswürdigkeiten" der Kriegsgeschichte gehören auch bei uns zum Reiseangebot. Ein neuerer Film, der den Vietnam-Kanon des Buches abschließen soll, greift diese Entwicklungen auf: "GOING BACK" (2001). Wer die patriotische Vietnamromanze "PURPLE HEARTS" (1984) von Regisseur Sidney J. Furie kennt, der befürchtet nach einem Blick auf die Inhaltsangabe von "GOING BACK", Furie könne fünfzehn Jahre später einen Veteranenfilm über Vietnamtourismus und über ein ungeklärtes militärisches Versagen gedreht haben. Mit einem solchen Vorurteil wird man dankbar erfahren, dass es sich doch etwas anders verhält.


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